Angst vor Aids
/ Die Welt

Diese Nachricht schockiert. Das Art Institute of Chicago hat einen der berühmten Bonbonhaufen von Felix Gonzalez-Torres „Untitled (Portrait of Ross in L.A.)“ aus dem Jahr 1991 mit einem neuen Text versehen, der den berührenden Hintergrund der Arbeit weglässt: Ross Laycock war der Lebenspartner des Künstlers und starb 1991 an HIV. Gonzalez-Torres‘ Arbeit gilt als eines der großartigsten Auseinandersetzungen mit dieser so traumatisierenden Zeit – und seinem eigenen Schicksal. Der Künstler selbst starb nur fünf Jahre später auch an HIV. Ohne diese Hintergrundinformation aber ist das Werk nur ein Berg aus Süßigkeiten, an dem man sich bedienen und seine konsumistische Grundhaltung befriedigen kann. Dabei stehen die Bonbons für das Idealgewicht von Ross, das im Laufe der Ausstellung abnimmt und zum Sinnbild wird für den Mensch, der langsam verschwand und starb.

 

Die Kritiker dieser Entscheidung weisen darauf hin, dass die Krankheit und Homosexualität des Künstlers – also die Eckpfeiler seines emotional und körperlich aufgeladenen Werks – schon seit einigen Jahren negiert würden, wie etwa 2017 im Pressetext der großen Überblicksschau in der Galerie David Zwirner, die seinen Nachlass vertritt. Schon damals schrieb ein Kritiker des Magazins POZ, das sich an Menschen mit HIV und Aids richtet, dass die Krankheit ausradiert worden sei und Bewunderer des Künstlers vor den Kopf stoße. Der Kommentar aber hatte keinerlei Folgen. Jetzt könnte sich etwas ändern: „Die Auslöschung von Ross’ Erinnerung und Gonzalez-Torres’ Intention in der neuen Werkbeschreibung ist eine gewissenlose und banale Boshaftigkeit“, fasst ein Twitter-Nutzer die aktuelle Debatte zusammen. Wie aber reagiert das Museum in Chicago?

 

„In Abstimmung mit Künstlern und deren Nachlässen aktualisieren wir Beschilderungen laufend, um verschiedene Kontexte vorzustellen“, lautet die Reaktion. „In diesem Fall haben wir das Besucherfeedback zum vorherigen Label zum Anlass genommen, den Text zu überarbeiten.“ Weil einzelne Besucher von Aids und Homosexualität lieber nichts wissen wollen oder in der Beschilderung den nächsten Fall von „Aneignung“ des Schicksals der eigenen Identität zu erkennen meinen, kuscht eine öffentliche Institution und verwässert seinen kunsthistorischen Vermittlungsauftrag? Das Museum als wissenschaftliche Einrichtung macht sich damit unglaubwürdig.

 

Wer die Biografie von Felix Gonzalez-Torres von seinem Werk trennt, zensiert nicht nur das Werk des Künstlers, sondern deklariert Aids und Homosexualität als etwas, mit dem man Besucher im Museum nicht behelligen sollte.

Was kommt als Nächstes? Wird man neben das Video „Heidi“ von Mike Kelley und Paul McCarthy in Zukunft einen sterilen Wandtext hängen, in dem es nur um Disney und die Schweizer Bergwelt geht, weil das Thema Missbrauch kein schönes Thema ist? Wenn wir die Kunst von ihren wichtigen, provokativen Inhalten befreien, das heißt oftmals auch von den Biografien der Künstler, landen wir bei bloßer Dekoration – und übergehen jene, die einmal den Mut hatten, ihre Sehnsüchte, Ängste und Traumata in eine Erfahrung für alle zu verwandeln.